Nel giardino dei suoni

Leiser und tief bewegender Dokumentarfilm über die Welt der Töne, Klänge und Geräusche, aufgezeigt bei der Therapie von vier behinderten Kindern, bei welcher die Grenzen der Kommunikation auslotet werden. – Zu Recht in Solothurn als bester Schweizer Dokumentarfilm 2010 ausgezeichnet.

 

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Wolfgang Fasser, den der Film porträtiert, ist Musiker, Klangforscher und Therapeut. Durch eine Erbkrankheit hat er als Jugendlicher sein Augenlicht verloren und musste früh lernen, was es bedeutet, in dieser «für Sehende eingerichteten Welt» anders zu sein. Auf dem Weg durch die Dunkelheit entdeckte er die Welt der Geräusche, Klänge und Töne und fing an, seine eigene Lebenserfahrung als Blinder zu nutzen, indem er schwerstbehinderten Kinder hilft, sich auf eine ihnen feindlich erscheinende Welt einzulassen. Heute lebt er in einem abgelegenen Weiler bei Poppi in der Toscana. Dort arbeitet der diplomierte Musiktherapeut mit Kindern, die aufgrund von Gehirnschädigungen schwer behindert sind. Einige können weder sehen noch sprechen, andere sind gelähmt oder autistisch.

Der Filmemacher Nicola Bellucci, in Arezzo geboren und in Basel aufgewachsen, hat mit seiner Crew während zwei Jahren beobachtet, wie Wolfgang Fasser mit Hilfe von Musikinstrumenten, Geräuschen und Tastübungen in geduldiger Kleinarbeit einen Dialog mit den jungen Patienten aufbaut. Wir begleiten ihn bei seinen Streifzügen durch die Toskana und erleben die verschiedensten ländlichen und urbanen «Klanglandschaften», die er mit seinem Tonbandgerät aufzeichnet. «Für mich sind die Tonaufnahmen wie Postkarten… Ich habe nicht das Gefühl, ich sehe nicht, denn ich höre ja.» Seine persönlichen Hörerfahrungen fliessen in die Arbeit mit den Kindern ein. Die Förderung der sinnlichen Wahrnehmung stärkt bei den Patienten das Vertrauen zu sich selbst und zu andern. Schritt für Schritt erweitern sie ihre motorischen und kommunikativen Möglichkeiten und erkämpfen sich so ein Stück Autonomie.

Neben seiner Tätigkeit als Musiktherapeut und Physiotherapeut unterrichtet Fasser an der Schule für angewandte Naturheilkunde in Zürich und leitet Unterrichtsgruppen an der Schule für interdisziplinäre, ressourcenorientierte Therapie (SIRT). Ausserdem spielt er Sopransaxophon in der Musikgruppe «Shalom Klezmer».

Vier der Kinder, vier Therapien, vier Begegnungen

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Andrea, acht Jahre alt, schwer sehbehindert, geistig zurückgeblieben, ist oft nervös, und schon das Klingeln einer Türglocke kann ihn in Angstzustände versetzen. Er konnte sich lange nicht in Worten ausdrücken. Nun lernt er in einem langwierigen Prozess zu sprechen.

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Der 15-jährige Ermanno ist ein autistischer Jugendlicher. Er ist verschlossen, impulsiv und kann ohne ersichtlichen Grund sehr aggressiv werden. Hier arbeitet er unter Anleitung von Wolfgang mit Klangstäben und Rhythmen.

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Die heute 14-jährige Jenny war von einem pränatalen Hirntraume geschädigt praktisch stumm, als ihre Mutter sie zu Wolfgang brachte. Zudem ass sie damals nichts, und ihre Bewegungen waren so spastisch und unkoordiniert, dass sie nicht gehen konnte. Jenny hat in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte erzielt, kann nun alleine essen, sich in Worten ausdrücken und einen Computer bedienen.

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Die achtjährige Lucia hat schon vor der Geburt als Folge von Komplikationen während der Schwangerschaft schwere Gehirnschäden erlitten. Bis ins dritte Lebensjahr lag sie im Koma. Seither an den Rollstuhl gefesselt, nahm sie ihre Umgebung kaum wahr, redete nicht und konnte sich kaum bewegen. Nach drei Jahren Therapie hat sie begonnen, auf ihre Umwelt zu reagieren.

Eine Filmsprache, die den Inhalt herüberbringt.

Neben dem Drehbuch von Licola Bellucci und der Musik von Daniel Almada ist vor allem die Kamera hervorzuheben, welche die Geschichte von Wolfgang und seinen vier behinderten Kindern zu einem einen gewöhnlichen Therapiebericht weit übersteigenden Kunstwerk verwandelt. Die Bilder finden im Visuellen das Pendant zum Akustischen, zur Sprache, der Musik, den Geräuschen, mit denen in der Therapie gearbeitet wird. Der Regisseur selbst, der Schweizer Altmeister Pio Corradi und der junge Pierre Mennel, der bei Pipilotti Rists «Pepperminta» seine Feuerprobe bestanden hat, sind für die Bilder, deren Cadrage und Ausleuchtung verantwortlich. Aufnahmen, in die man sich hineinsieht und hineinhört. Landschaften, eigentliche «Paysages d’âmes», Wälder, Wiesen, Berge, aber auch Tiere und Blumen, die Geschäfte und Bars von Poppi und Gesichter, die sprechen, die man, wie Belucci meint, «mit den Ohren anschauen» kann. Hier gilt es, mit den Augen zu sehen und zu hören, mit den Ohren zu hören.

Zusammen mit der Montage, verleihen sie dem Film «Nel giardino dei suoni» (Im Garten der Töne) die Zeit, die nötig ist, um in diese für die meisten doch neue Welt einzutauchen, berühren zu lassen und in dieser Ruhe uns erst zaghaft, dann immer bestimmter zu fragen nach diesen neuen Dimensionen des Lebens, einem andern Sinn des Lebens. «Nel giardino dei suoni» lehrt uns, dass es noch vieles gibt zwischen Himmel und Erde, zwischen Menschen und Menschen, als das, was wir tagtäglich sehen, hören und zu verstehen glauben. Nicola Bellucci macht erlebbar und erkennbar, was Wolfgang Fasser mit seinen Kindern macht: dieses geheimnisvolle Tun in Richtung einer neuen Humanität. Der Film ist ein moderner «Satz», der neben Sätze von Martin Buber (Ich und Du, 1923) bestehen kann: «Alles wirkliche Leben ist Begegnung.» und «Der Mensch wird am Du zum Ich».

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Gedankensplitter aus dem Film

Es ist faszinierend zu beobachten, welche Fähigkeiten junge Menschen mit multiplen Behinderungen im Spiel oder in einem gestalterischen Prozess entwickeln können.

Meine Aufgabe besteht darin, ein Ambiente zu kreieren, das es den Kindern erlaubt, sich auf die Welt einzulassen und ihre Neugier, Spiellust und schöpferischen Impulse auszuleben.

Ich will die Musik kreieren, die zwischen uns klingt und uns aufeinander eingehen lässt.

Jeder Ton entfaltet sich in dem Raum, in dem er geboren wird. Unser Körper ist ein Klangkörper: die Lunge, das Herz, die Bauchhöhle, der Kopf, die Hohlräume.

Körper sind Klangkörper. Bewegung motiviert für Klang.

Wir sind Gastgeber bei den Klängen.

Musik beruhigt, bringt zu sich.

Der Klang, den wir innerlich wahrnehmen, ist auch ein Körpererlebnis. Empfiehlt sich, in den Alltag mitzunehmen. Dieses Leibhafte löst ganz viel in uns aus. Es führt dazu, dass sich Bewegungen, Empfindungen und Wahrnehmungen verändern und dass Sprache angeregt wird. Durch die Körperlichkeit des Klanges entsteht ein Verständnis für Laute und später auch für Worte.

Nur durch die persönliche Erschütterung angesichts des Gegenübers und dessen bizarre Welt findet man den Mut, den Weg weiterzugehen.

Im freien Improvisieren will ich frei werden wie die Amsel.

Mit meiner Arbeit strebe ich an, dass das Kind seine Würde mit jeder Zelle seines Körpers spürt.»

Ich will den Kindern helfen, das zu werden, was sie sind.

Audiodescription für Sehbehinderte

Das Schweizer Fernsehen, das diesen Film mitproduziert hat, arbeitet hier zum ersten Mal mit dem bayrischen Rundfunk zusammen bei der Herstellung einer Audiodescriptionsversion für Sehbehinderte. Audiodeskription ist ein Verfahren, welches Blinden und Sehbehinderten ermöglicht, visuelle Vorgänge besser  wahrnehmen zu können. Dabei wird die Handlung mit einem akustischen Kommentar versehen, um sie für das Publikum lebendiger zu gestalten. Zusammen mit dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehinderten Verband organisiert der Verleih www.cineworx.ch Sonderveranstaltungen mit Audiodeskription, wofür spezielle Vorführungen vorgesehen sind. Auskünfte sind erhältlich unter giardino@cineworx.ch oder 061 261 63 70.