Cinco días sin Nora

Über ihren Freitod hinaus will Nora ihren Ex-Mann José nochmals tüchtig herausfordern – und dies mit Erfolg. Erzählt wird diese heiter skurrile, tiefsinnige Geschichte von der mexikanischen Regisseurin Mariana Chenillo.

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Nora und José waren einmal ein Paar. Nun sind sie ins Alter gekommen und seit zwanzig Jahren geschieden. Sie leben in zwei gegenüberliegenden Wohnungen derselben Strasse einer mexikanischen Stadt. Nora plant ihren Tod und will dabei ihren Ex-Mann noch einmal tüchtig auf Trab bringen. Es ist ihr letzter Wille, dass er sich um ihr Begräbnis kümmere, das sich wegen etwas sonderbaren religiösen Gebräuchen, ihrem Suizid und weitern Komplikationen um fünf Tage verzögert und komplizierter als erwartet gestaltet. Zudem findet José ein kompromittierendes Foto, das ihn zuerst in Aufregung versetzt, bis er sich nach langem Hin und Her in Erinnerungen mit ihr versenkt und sich versöhnt: mit sich, mit Nora und mit der Welt.

Mit Akkuratesse und Stil arrangiert Nora am Anfang des Films den Tisch für ihr Leichenmahl, das am Schluss der turbulenten Geschichte als letztes Abendmahl gefeiert wird, in Frieden, Freude und neu dem Leben zugewandt. Sympathisch und vielsagend auch, wie José sich mit dem Feldstecher auf der andern Strassenseite über Nora informiert und sie von ihrem Fenster aus mit dem Feldstecher ihn kontrolliert. – Zwei typische, über den Film gelegte Spannungsbögen, wie sie die Regisseurin verwendet. Es sind immer Gegenstände und Situationen des Alltagslebens, die jedoch nicht bloss abgebildet, sondern als Sinnbilder verwendet werden. Alltäglich nah und komisch absurd zugleich.

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Voll Überraschungen erzählt «Cinco días sin Nora» von einem neuen Leben, das entsteht, nachdem ein Leben geendet hat. Wie ein Phönix steigt José aus der Asche des dumpfen Abgestorben-Seins auf, nachdem er Nora mit einer Überdosis Schlafmittel tot im Bett gefunden hat und sich vor all die Aufgaben gestellt sieht, die sie ihm aufgetragen hat. Nicht aus einer fremden Feder stammen die skurrilen Einfälle, sondern es sind persönliche Erfahrungen der Regisseurin mit ihren Eltern. Doch begnügte sie sich nicht mit einem autobiografischen Bericht, sondern reicherte ihn mit reichhaltig duftenden Ingredienzien an, bis der Film das wurde, was er jetzt ist: ein augenzwinkernder Hymnus auf ein Leben mit dem Tod. Dabei sind es nicht zuletzt die Irrungen und Wirrungen religiös jüdischer Gesetzestreue, welche ihn, den erklärten Agnostiker, in Turbulenzen stürzen. Ebenso ist es das verfängliche Foto seiner Ex-Frau in den Armen eines andern Mannes, das in Eifersucht und Enttäuschung stürzt, bis er erst viel später zurück findet. Einen Kick in diese Richtung erhält er auch, als die Enkelinnen aus dem sorgsam vorbereiteten Sarg heraus ihm in die Arme springen. Dass Nora den Menüplan der nächsten Tage für José und die Haushälterin genauestens vorbereitet hat, erweist sich ebenfalls als Auslöser des heiteren und hektischen Spiels.

Die Regisseurin Mariana Chenillo, die bei uns noch unbekannt ist, wurde 1977 in Mexico geboren, besuchte die Filmschule, schuf zwei Kurz- und einen Dokumentarfilm und 2008 diesen ihren ersten Spielfilm, der bereits an verschiedenen Festivals gezeigt und prämiert wurde. In der Zwischenzeit hat sie bei mehreren Regisseuren als Script, Regieassistentin und Produktionsmanagerin gearbeitet. Seit 2005 unterrichtet sie zudem am «Centro de Capacitación Cinematográfica» in Mexico City Regie.

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In ihrem ebenso komischen wie sanften, überraschenden wie besinnlichen Spielfilmerstling «Fünf Tage ohne Nora» erzählt Chenillo traumwandlerisch leicht eine Geschichte voll feinem Humor und dennoch menschlichem Tiefgang über so gewichtige Momente im Leben wie Tod, Ehe, Glauben und Liebe. Die Rituale der jüdischen und katholischen Tradition, in welchen die Personen leben, erweisen sich als hilflose Werkzeuge, mit denen die Religionen dem wirklich Wesentlichen zu begegnen versuchen. José negiert deren Riten, findet jedoch seinen eigenen Weg zurück zum Leben – durch die Liebe Noras über ihren Tod hinaus. «Der Film ist rund um José konstruiert, alles im Film passiert, damit diese Figur sich entwickeln kann. Er stand für mich im Zentrum», meint die Regisseurin, «die beiden Mädchen waren aber auch wichtig für mich, obwohl sie keine tragenden Rollen haben. Sie ermöglichten mir durch die Fragen, die sie stellen, das Spektrum zu erweitern, eine andere Sicht auf die Dinge und den Tod aufzuzeigen, auch eine spirituellere.» Walter Ruggle, der profunder Kenner des südamerikanischen Kinos, umschreibt den Film als «eine leise Beziehungskomödie aus der Perspektive des Abschieds, in der der Tod das Leben so richtig schön in Fahrt bringt.»

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Zusätzliche Bezüge zum Thema

Wenn der Film auch beim europäischen Publikum gut ankommt, so liegt das an der bravoureusen Handhabung der kinematografischen Weltsprache durch die Regisseurin. Und dennoch sind die Ursprünge seiner Denk- und Bildwelt echt mexikanisch, uns letztlich fremd. Vielleicht können deshalb die folgenden drei Verweise auf andere Kunstwerke diesen Film noch verstärkt in den ursprünglichen Kontext einbetten.

Als erstes könnte Graciela Iturbide, die mexikanische Fotografin, wertvolle Hintergrundinformationen zum Verständnis des Todes bei Mariana Chenillo bieten. Bis 7. Februar stellt sie im Fotomuseum Winterthur Bilder unter dem Titel «Das innere Auge» aus, bei welchem auch der Tod als Übergang in eine andere Seinsweise eine wichtige Rolle spielt.

Weiter dient vielleicht die Lektüre des kürzlich verstorbene Schweizer Schriftsteller Hugo Lötscher mit einigen seiner Texte dem besseren Verständnis des Films. So widmet er in seinem Buch «Brasilianische Begegnung» mit viel Empathie verschiedene Kapitel dem Tod und Sterben im Leben südamerikanischer Menschen.

Und schliesslich zeigt der grosse russische Regisseur Sergej Eisenstein in seinem 1931/32 entstandenen, unvollendeten Film «Que viva Mexico!» den Tod in Mexico als Teil des Lebens in bildgewaltigen Sequenzen, in einer Meditation in Fragmenten.