Aisheen – Still alive in Gaza

Der Gaza-Streifen im Februar 2009 einen Monat nach dem Ende der israelischen Militäroffensive. Gaza scheint wie eine Geisterstadt, doch inmitten der trostlosen Ruinen gibt es Menschen, die nicht aufgeben.

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Wie es sich zwischen allgegenwärtiger Zerstörung leben lässt, erforscht der Westschweizer Filmemacher Nicolas Wadimoff in seinem Dokumentarfilm «Aisheen – Still alive in Gaza». («Aisheen» bedeutet: Wir leben, wollen jedoch nicht sagen, dass es uns nicht gut geht, obwohl es so ist.)

Das grösste Freiluftgefängnis der Erde…

Zerstörung allerorten. Auch der Jahrmarkt wurde von Bomben getroffen. Die Geisterbahn ist ausser Betrieb. Doch ist nicht Gaza selbst mittlerweile eine gespenstische Geisterstadt? «Wo ist die Geisterbahn?», fragt ein Junge am Anfang des Films. «Hier ist sie, genau hie! Doch sie wurde bombardiert. Willst du es dir ansehen», antwortet der Platzwart des Vergnügungsparks. Inmitten von Ruinen, Trauer und Verzweiflung gibt es, nach einer ersten Zeit der Resignation, Menschen, die nicht aufgeben, die wieder anfangen. Was es bedeutet, in einer zerstörten Region, die durch eine fortdauernde Blockade von ihrer Umgebung von der übrigen Welt abgeschnitten ist, das eigene Leben und den gemeinsamen Alltag wieder aufzubauen, zeigt dieser Film: ruhig, unspektakulär, ohne Analysen und Agitation. Er übermittelt vielfältige Stimmen aus Gaza, diesem grössten Freiluftgefängnis der Erde: Kinder, die Verwandte verloren und Jugendliche, die keine Lust auf Zwangsferien haben, Clowns, die dem Raketenbeschuss zum Trotz Kinder zum Lachen bringen, und die engagierten Rapper von Darg Team, die mit ihrer Musik polarisieren. Er führt nicht nur an Orte wie den Grenzübergang nach Ägypten, ins Krankenhaus, zum UN Food Distribution Center, zu den Schmugglertunneln und in Flüchtlingslager, sondern auch an den Strand und in den Zoo. Dort wird das Skelett eines Wals rekonstruiert. Ein symbolstarkes Bild, eine Hymne an das Leben, trotz allem.

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… wurde dem Boden gleich gemacht.

Es gibt Dokumentarfilme, die finden so starke Bilder und Personen, dass zusätzliche Kommentare überflüssig sind. Ein solcher ist «Aisheen. Still Alive in Gaza». Da sind der zerstörte Rummelplatz, in dem die Geisterbahn warten, wieder zum Leben erweckt zu werden, hier gibt es Jahrhunderte alte Olivenhaine, die abgeholzt sind, ein Zoo, der eine Sektion «ausgestopfte Tiere» einführen musste, weil so viele Tiere gestorben sind, der Grenzübergang nach Ägypten, wo Leute dringend ihre Angehörigen ins Krankenhaus bringen sollten, Bilder vom Strand, wo ein paar Jungs beim Fischen einen winzigen Fisch fangen und grillen, der gestrandete Wahl, dessen Knochen bei den ausgestopften Tieren landen, das Baby im Krankenhaus, das durch Phosphor verletzt wurde, Kinder, deren Traumata mithilfe von Clowns und Rollenspielen bearbeitet werden, der Rapper von Darg Team.

die in einer Radiosendung auftreten dürfen und mit konservativen Hörerstatements konfrontiert werden. Am Ende hat der Rummelplatzmann wenigstens ein Karussell wieder in Betrieb nehmen können.

Über den mörderischen Gaza-Krieg haben wir alle gehört. Wer die Fakten sucht, der sei auf Wikipedia verwiesen. Und wer eine umfassendere Analyse sucht, greift zu Literatur. Meine eigene Literaturliste zum Thema Israel/Palästina kann heruntergeladen werden. Was dieser ausgezeichnete Dokumentarfilm jedoch zusätzlich macht, das ist die Schilderung des alltäglichen Lebens der einfachen Menschen in Gaza. Und dabei verfällt er nicht ins Analysieren und Werten, sondern zeigt einfach die Wirklichkeit, wie Nicolas Wadimoff sie erlebt hat. Er verhilft uns zu einer anderen Wahrnehmung, dass wir dies für wahr nehmen.

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Ein dringend nötiger Film, nachdem über den Gazakrieg selbst keine verlässlichen Bilder in die Weltöffentlichkeit gelangt sind. «Aisheen. Still Alive in Gaza» ist «ein Film, der unseren Blick auf die Welt verändert», schreibt eine deutsche Zeitung. Und eine welsche Zeitung meint: «Die Bilder in „Aisheen“ stärkern das Gefühl einer universalen Brüderlichkeit.» – Ein Postulat von höchster Aktualität.

Trailer