Usfahrt Oerlike

Paul Riniker hat mit Jörg Schneider und Mathias Gnädinger einen wunderbaren Film geschaffen, «Usfahrt Oerlike», der das Sterben thematisiert und uns damit berührt und herausfordert.
Usfahrt Oerlike

Hans Hilfiker (Jörg Schneider) und Willi Keller (Mathias Gnädinger)

Wenn Hans (Jörg Schneider) zurückblickt, muss er sagen: Das war ein gutes Leben! Er hat die Welt gesehen, sein Martheli geliebt und ja, zwei, drei Dinge sind schiefgelaufen. Aber darüber muss man nicht reden. Und jetzt? Seit zwei Jahren ist Martha tot, er kann den Alltag kaum noch bewältigen, und von einem Besuch beim Tierarzt kommt sein geliebter Hund Miller nicht mehr zurück. Hans ist müde, mag nicht mehr, möchte sterben. Aber darüber spricht man nicht, oder bestenfalls mit Willi, seinem Freund (Mathias Gnädinger). Ihm vertraut er, ihn betrachtet er als seinen Verbündeten, der ihm helfen soll, seinen Plan umzusetzen.

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Hans und Emilie Brütsch (Heidi Maria Glössner), Nachbarin im Altersheim

Anmerkungen des Regisseurs …

Vor etwa vier Jahren traf ich zufällig Jörg Schneider. Er kam auf meinen Spielfilm «Sommervögel» zu sprechen, sagte, dass ihn dieser sehr berührt hätte, und erwähnte nebenbei, dass er gerne mal in so einem Film spielen würde. Ich schaute ihn gross an, dachte kurz nach und meinte, dass ich liebend gerne mit ihm drehen würde. Als dann Thomas Hostettler mit der Idee auf mich zukam, aus seinem Theaterstück «Exit» einen Spielfilm zu machen, wusste ich sofort: mit Jörg Schneider, ja. Und den Part des Freundes im Film muss Mathias Gnädinger spielen. Die beiden standen noch nie länger gemeinsam vor der Kamera, aber in meiner Vorstellung waren sie ein Traumpaar.

Fast drei Jahre später lag die Endfassung des Drehbuchs von Christa Capaul vor, der Film «Usfahrt Oerlike» war finanziert, der Drehbeginn auf Ende Mai 2014 geplant. Alles lief rund, ausser, ja, ausser dass Jörg Schneider im Spital lag und es nicht so aussah, als käme er auf den Dreh hin wieder auf die Beine. Rudolf Santschi, der Produzent, und ich besuchten Jörg am Krankenbett und fragten ihn und den behandelnden Chefarzt, was sie meinten, ob wir wohl drehen könnten? Jörg, Ruedi und ich schauten gleichermassen hoffend zum Arzt. Dieser nickte bedächtig und sagte klar und deutlich: Ja, Jörg Schneider schafft es. Ohne Zweifel war dem Arzt klar: Jörg will diesen Film drehen. Er hat viele Jahre lang darauf gewartet, eine ernste Hauptrolle in einem Kinofilm zu spielen, und jetzt, so nahe am Ziel, das musste einfach gehen.

Jörg drehte die sechs Wochen tapfer mit uns. Wir versuchten, ihn zu schonen, aber er beharrte darauf. Der Film sei wichtiger als seine «Predulien». Die Kostüm- und Garderobefrau und die Maskenbildnerin kümmerten sich selbstlos um Jörg. Der Kameramann Felix von Muralt und ich bemühten uns, möglichst keine unnötigen Takes zu drehen. Ausserdem schaute Mathias rührend für seinen Spielpartner. Die beiden funktionierten, als stünden sie bereits zum xten Mal gemeinsam vor der Kamera. Sie spielten so stark und intensiv, dass auf dem Set etliche Male die halbe Equipe Tränen in den Augen hatte.

Für mich war es eine traumhafte Erfahrung, mit diesen beiden schauspielerischen Grössen zu drehen. Beide waren ohne Allüren, gingen auf unsere Intentionen ein und spielten sich gegenseitig in ihre Rollen. Aber auch der weitere Cast, Beatrice Blackwell, Heidi Maria Glössner, Daniel Rohr u. a., fügte sich wunderbar in die Geschichte um die beiden Hauptfiguren ein. Der Dreh wurde so für alle zu einem grossartigen Erlebnis.

Ich habe mich in meinen Dokfilmen immer wieder mit dem Tod auseinandergesetzt. Das Thema ist quasi Teil von mir. Je älter ich werde, umso mehr werde ich mir meiner Vergänglichkeit bewusst und stelle mir die Frage, wann und wie ich selbst abtreten muss. Wenn die Angst wächst, dass man die Selbstbestimmung verliert, dass man plötzlich auf dauernde Hilfe angewiesen ist, dann fragt man sich, ob man diesem Leben nicht ein Ende setzen soll. Was in Hans abgeht, kann ich nachempfinden. Ich entferne mich also bei «Usfahrt Oerlike» nicht weit von meiner Realität. Ich sehe im fertigen Film eine tiefschürfende und für den Zuschauer nachvollziehbare und spannende Auseinandersetzung mit mir selbst und mit dem Tod.

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Mary (Beatrice Blackwell), die Pflegerin von Hans

… und Kommentare eines Zuschauers

Dein Film, lieber Paul, hat mich formal überzeugt und persönlich tief berührt. Nach deinen zahlreichen Dokumentarfilmen und dem Spielfilm «Sommervögel» dürftest du mit «Usfahrt Oerlike» den Höhepunkt deines Schaffens erreicht haben. Dafür ein Kompliment und ein Dankeschön.

Fürs Erste gründet die Qualität deines Films wohl auf dem Drehbuch, das sich durch Einfachheit und Komplexität, Gradlinigkeit des Handlungsverlaufes und Verwobenheit der Einzelschicksale auszeichnet. Zurückhaltend und präzis: die Bildgestaltung, die Musik von Marcel Vaid und der Schnitt von Christof Schertenleib.

«Usfahrt Oerlike» lebt vor allem von den beiden Volksschauspielern Jörg Schneider als Hans Hilfiker und Mathias Gnädinger als Willi Keller. Ihr Spiel, ihre physische und psychische Präsenz zu beschreiben, erübrigt sich. Jede Minute der Begegnung mit ihnen berührt und lässt Anteil nehmen an ihrem Leben. Man spürt, dass sie spielen, was sie existenziell betrifft. Auch die übrigen Darstellerinnen und Darsteller spielen in der richtigen Tonart, mit der treffenden Gestik, der passenden Mimik und wenn nötig mit erfülltem Schweigen.

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Beat Hilfiker (Daniel Rohr), der Sohn von Hans, mit seinem Partner Oliver (Stefano Wenk)

Paul Riniker: der Volkskünstler …

Du hast, soweit ich deine Filme kenne, nie «in Kunst» gemacht. Du hast immer Filme gedreht, die das Volk verstand und die berührten. Als Volkskünstler warst du beim Schweizer Fernsehen als Dokumentarist eine Marke. Von dir erwartete und erhielt man eine professionell erzählte Story und eine menschenfreundliche Annäherung an die Menschen. Genau so wurden auch die beiden Spielfilme. Den ganzen Film hindurch spürt man dich, der eine Geschichte erzählt, welche die Protagonisten, welche dich – und mich – angeht.

… mit einem grossen Thema

Für mich gehört «Usfahrt Oerlike» zu den Filmen, die nach dem Sinn des Lebens fragen. Es ist kein Film, mit dem man Zeit vertreiben, sondern Zeit erfüllt und der zudem einlädt, uns einer wichtigen Frage des Lebens, unserer Zeit, zu stellen. Wenn am Ende des letzten Jahrhunderts der öffentliche Diskurs dem Thema Schwangerschaftsabbruch galt, also dem Eintritt ins Leben oder dem Nein dazu, so der heutige und morgige dem Thema Lebensende: Wie steigen wir aus dem Leben aus? Und dazu hast du mit «Usfahrt Oerlike» einen Weg gezeigt, eine Antwort gegeben und offen, ehrlich und menschlich zur Diskussion darüber eingeladen. Darum ist dein Film aktuell und politisch, wichtig und notwendig!

Titelbild: Hans Hilfiker (Jörg Schneider) mit Willi Keller (Mathias Gnädinger)