Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen

Im religiösen und politischen Pulverfass Jerusalems steht die Grabeskirche Christi. Der Deutsche Hajo Schomerus realisierte über die christlichen Fraktionen, die in dieser Kirche anzutreffen sind, einen Dokumentarfilm, der die Sittuation neutral, fair beschreibt - und zum Denken herausfordert.

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Grabeskirche in Jerusalem

Jedes Mal wenn ich in Jerusalem vom Hotelzimmer aus die Grabeskirche der Christen, die Klagemauer der Juden und die Aqsa-Moschee der Muslime in einem Blick vor mir sehe, werde ich bodenlos traurig oder beginne zu wüten, wie weit es die Religionen doch gebracht haben in dem sogenannten Heiligen Land. Nicht viel anders ergeht es mir bei diesem Film. Der 1970 in Hannover geborene Hajo Schomerus, der für Idee, Konzept, Regie und Kamera von «Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen» verantwortlich ist, meint es offensichtlich redlich, versucht ein faires Bild der Grabeskirche zu zeichnen – Doch mir gelingt es kaum, den Film neutral zu sehen. Meine Wertungen sind persönlich, es gibt auch andere.

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Feierlichkeit am Palmsonntag

Zum Einstieg

In der Grabeskirche in Jerusalem leben sechs christliche Konfessionen Tür an Tür unter einem Dach: griechisch-orthodoxe Christen, römisch-lateinische Franziskaner, syrische Christen, armenische Christen, äthiopische Abessinier und ägyptische Kopten. Eine muslimische Familie verwahrt den Schlüssel zur Kirche auf und schließt die Haupttür morgens auf und abends zu.

In diesem Status befindet sich die Kirche seit der osmanischen Zeit. Die einzelnen Glaubensgemeinschaften wachen verbissen über die ihnen zugeteilten Anteile und beobachten eifersüchtig die Anderen. Die Abessinischen Christen, die ihren Platz in der eigentlichen Kirche verloren hatten, quartierten sich kurzerhand auf dem Dach der Kapelle ein. Die koptischen Christen, die den Haupteingang des Grabes nicht benutzen dürfen, bauten sich eine kleine Kapelle an der Rückseite der Grabkammer. Und die Griechisch-Orthodoxen verteidigen rauhbeinig den Vordereingang. Zu hohen Festtagen kommt es manchmal zu absurden Schlachten religiöser Leidenschaft, die Prozessionen geraten sich gegenseitig in die Quere und Gläubige aus aller Welt verkeilen sich untereinander. Erst nachts, wenn die unfreiwillige Wohngemeinschaft in der Kirche eingeschlossen ist, beten die Mönche vor dem Grab. Dann verwandelt sich die Kirche in einen mystischen Ort der Hingabe und Sehnsucht nach erfülltem Glauben.

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Osterfeuer wird entzündet und weitergegeben

Zum Status Quo

Seit der christliche, römische Kaiser Konstantin einen Venustempel auf dem Hügel Golgatha abreissen liess, um das originale Grab Christi freizulegen, ist an diesem Ort in Bastel- und Flickarbeit die Grabeskirche entstanden. Jeder, der sich berufen fühlte und der in der bewegten Geschichte Jerusalems Zugriff auf den Ort hatte, baute hier an, um oder aus. Zwischendurch wurde die Kirche immer wieder zerstört oder beschädigt: Von den Persern, dann von den ägyptischen Fatimiden, zurückerobert von den Byzantinern und in Beschlag genommen von den Tempelrittern.

Über die Jahrhunderte hat sich hier fast jede Glaubensrichtung des Christentums eine kleine Nische gebastelt, um den Ort für sich in Anspruch zu nehmen: hier eine Kapelle, da ein Seitenschiff, dort einen Altar. Dabei fanden sie immer neue Mythen und Reliquien, die sich die verschiedenen Glaubensrichtungen zu eigen machten: Der Salbstein Jesu, ein Splitter des Kreuzes, der gespaltene Felsen Golgatha, die Geisselungssäule oder das leere Grab werden wechselweise in Anspruch genommen oder schmählich ignoriert.

Untereinander sind die verschiedenen Glaubensrichtungen so zerstritten und festgefahren, dass Jahrhunderte lang keine wichtigen Instandsetzungs- oder Erhaltungsarbeiten koordiniert werden konnten. Als es unter den sechs verschiedenen Gruppen, die die Kirche zuletzt für sich beanspruchten, gar nicht mehr weiterging, wurde von der osmanischen Regierung 1852 der bis heute geltende Status Quo erlassen, der Gebetszeiten und Zugangsrechte in der Kirche streng regeln sollte: die zu diesem Zeitpunkt bestehende Aufteilung der Kirche wurde eingefroren und als gültig angesehen. Diese Vereinbarung, in seiner Ursprungsform ein knappes Dokument als Erlass der Osmanen, ist seither um hunderte Seiten erweitert worden. Die streitenden Parteien teilen hier jede Bodenfliese und jeden Zentimeter der Kirche in zähem und erbittertem Ringen untereinander auf.

Seit Jahrhunderten wird die Grabeskirche Jesu von einer muslimischen Palästinenserfamilie täglich auf- und zugeschlossen, die dieses Recht seit Generationen in ihrer Familie weitergibt. Eine zweite Familie hat das Recht, den Schlüssel zu verwahren. Wessen Recht das ältere ist und wer das ältere Dokument besitzt, ist ein ungeklärter und andauernder Streit.

Die sechs christlichen Gruppen in der Kirche sind: griechisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Franziskaner, syrische Christen, armenische Christen, äthiopische Abessinier und ägyptische Kopten.

vaterafrayem.jpg bruderjayaseelan.jpg Vater Afrayem Elorashaly, ägyptischer Mönch Bruder Jayaseelan, Franziskaner aus Südindien

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Vater Samuel Aghoyan, armenischer Priester                                          Abuna Gebreselassie, äthiopischer Mönch

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Patriarch Theophilos III, griechisch-orthodoxer Patriarch von Jerusalem   Pater Robert Rauch, Franziskaner aus dem Rheinland

Ein Hinweis des Regisseurs Hajo Schomerus

«Die Grabeskirche in Jerusalem ist ein faszinierender Mikrokosmos, in dem sich viele sehr menschliche Verhaltensweisen versammeln – bis zum Überlaufen angefüllt mit Geschichte, Politik, auf der anderen Seite aber auch ein Ort der Sehnsucht und Hoffnung. Der Ort kann so profan wie ein Busbahnhof sein und dann wieder in seiner Heiligkeit überwältigend. Die Teilung der Kirche, die immerhin der heiligste Ort für einen grossen Teil der Christenheit ist, ist eine Tatsache, die tragisch und gleichzeitig absurd ist.

Hier offenbart sich eine Tragödie: Die utopistische christliche Vision einer besseren Welt trifft auf ein urmenschliches Dilemma – die Sehnsucht, fromm und gut zu sein, und das gegensätzliche, aber sehr menschliche Bedürfnis, als erster in der Schlange zu stehen. Dieser reiche und extrem dichte Ort hat mich gepackt, und ich habe mich aufgemacht, die Leute zu suchen, die in der Kirche leben, mit ihr leben und für sie leben. Den Alltag in diesem aussergewöhnlichen Ort mit seinen Höhen und Tiefen zu entdecken und die emotionale Achterbahn entlang der Ereignisse in der Kirche mitzuerleben, führt unweigerlich zu der Frage nach dem Glauben. Mit Respekt und Neugier, aber auch zeitweilig mit Verblüffung und Belustigung wollte ich herausfinden, was diese unfreiwilligen Hausgenossen umtreibt.»

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Liturgie im armenischen Ritus

Das gibt zu denken…

Als ich vor zwei Jahren mit einer Schweizer Gruppe auf einer Solidaritätsreise nach Palästina/Israel an einem Nachmittag die Grabeskirche besuchen wollte, verliessen wir sie nach kurzer Zeit fluchtartig. Wir hielten es nicht aus: die Menschenmasse, die Kakophonie der Lieder und Gebete, die schroffe Abwicklung des organisierenden Klerus, die Hitze und Feuchtigkeit, die Bigotterie und zum Teil Fetischismus, als was wir vieles, was wohl als Frömmigkeit gemeint war, erlebten.

Von dieser Erfahrung ausgehend erlebte ich die Art und Weise, wie hier christliche Kleriker miteinander und mit uns umgingen, als abstossend. Lieber anständige «Heiden» als unanständige Christen! Und welch ein Bild des die Erde umfassenden Christentums wird hier demonstriert: eine oberflächliche, kleinliche, naive, fundamentalistische. Die beiden Muslime, die für die Schlüssel und das Schliessen der Kirche verantwortlich sind, machen sich keinen Deut besser in ihrer Kleinkariertheit und Beschränktheit.

Ich erinnerte mich wieder an den Satz, den ich nach meinem letzten Besuch in der Grabeskirche auf einer Karte meinem Freund in der Heimat schrieb: «Wer noch ein einen Glauben hat, verliert den sicher hier!» – Weil der Film «Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen» die Christlichkeit in und um die Begräbniskirche von Jerusalem fair und respektvoll zeigt, ist es ein wertvoller, ein aufklärerischer Film. Er lässt uns die Freiheit zur Meinungsbildung. «Fast so etwas wie eine skeptische Phänomenologie des Religiösen», nennt das Berliner Stadmagazin «Tipp» zu Recht den Film «Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen».

www.imhausmeinesvaters.x-verleih.de